„PDF, nicht barrierefrei“ – Was bedeutet das für Sie / Euch?
27. März 2013 von Kerstin Probiesch in: Barrierefreiheit, PDF
Immer öfter finden sich im Web PDF-Dateien, die als „nicht barrierefrei“ gekennzeichnet sind. Schon lange stelle ich mir die Frage, was – jenseits von Standards für barrierefreie PDF und der Tatsache, dass auch PDF barrierefrei sein sollten – eine solche Kennzeichnung konkret für Nutzer bedeutet. Gerne möchte ich mir darüber einen Eindruck verschaffen, daher ein paar lose Fragen in die Runde:
- Was bedeutet für Sie/Euch die Kennzeichnung eines PDF als „nicht barrierefrei“?
- Was vermutet Ihr / was vermuten Sie hinter der Kennzeichnung „nicht barrierefrei“ über die Beschaffenheit des PDF?
- Rufst Du /Rufen Sie ein solches PDF auf oder eher nicht?
- Finden Sie / Findet Ihr eine solche Kennzeichnung nötig oder sinnvoll, in bestimmten Fällen – und wenn ja in welchen sinnvoll – oder generell nicht sinnvoll?
Über Antworten hier im Kommentarbereich, in Form eigener Blogposts, über Twitter (@kprobiesch) oder E-Mail würde ich mich freuen. Falls Sie / Falls Du Screenreadernutzer bist, bitte in der Antwort erwähnen, welchen Screenreader Sie benutzen / Du benutzt?
am 27. März 2013 um 10:42 Uhr
Gute Fragen….
PDFs sollten grundsätzlich barrierefrei sein. Die Bezeichnung “nicht barrierefrei” wäre also gar nicht notwendig. Weshalb wird es trotzdem gemacht? Dies liegt zum einen daran, dass es nicht einfach ist, barrierefreie PDFs zu erstelle und zum anderen, dass der Aufwand gescheut wird, diese zu erstellen. Es fehlt das Bewusstsein, dass barrierefreie PDF für blinde und sehbehinderte Menschen von sehr grosser Bedeutung sind. Es geht schliesslich immer um mehr Selbstbestimmung und Chancengleichheit.
“Nicht barrierefrei” bedeutet für mich, dass ein PDF nicht korrekt getagged ist. Dass heisst, die Strukturinformation (Titel, Listen usw.) sind nur visuell erkennbar, können aber von einem Screenreader nicht erkannt und vorgelesen werden. Oft stimmt auch die Reihenfolge in einem “nicht barrierefreien” PDF nicht.
Die Kennzeichnung kann dort Sinn machen, wo es für den Inhalt des PDFs eine barrierefreie Alternative gibt, z.B. als HTML.
PS:
Ein gutes Tool zur Prüfung der Barrierefreiheit kann auf http://www.access-for-all.ch heruntergeladen werden.
am 27. März 2013 um 15:17 Uhr
Ganz übel.
Der Autor weiß, dass es so etwas wie Barrierefreiheit gib.
Er weiß, das Barrierefreiheit zumindest “sich gehört” – wenn es nicht auf der betreffenden Site sogar zwingend vorgeschrieben ist.
Er weiß, oder vermutet zumindest, dass das angebotene PDF nicht barrierefrei ist. Wahrscheinlicher ist aber, dass er gar nicht über die Anforderungen, die an barrierefreie PDFs gestellt werden, Bescheid weiß, und in konkreten Fall das selbst nicht beurteilen kann.
Fazit:
Ein Alibi-Statement, das mich sofort an “optimiert für …” erinnert.
Und ja, ich weiß sehr wohl, welchen Aufwand die Erstellung eines wirklich barrierefreien PDFs erfordert. Dafür genügt es leider nicht, in WinWord den entsprechenden Knopf zu drücken.
am 29. März 2013 um 10:03 Uhr
Hier mal ein Statement einer Betroffenen.
für mich sind nicht barrierefreie PDFs immer ein Ärgernis, vor allem wenn diese amtlich sind, da hat man dann eigentlich ja keine alternative ausser das PDF auszudrucken und einzuscannen. Man muss ja irgend wie hinter den Text in diesem amtlichen Schriftstück kommen.
Gleichzeitig finde ich die Erstellung von Barrierefreien Dokumenten unter Acrobat fast eine Zumutung. Sofern das immer noch ähnlich funktioniert wie unter Version 8. Mit Axespdf einem Add on für MS Word ab Version 7 ist das erstellen eines Barrierenfreien PDFs erhäblich einfaacher. Das Add On kann man hier http://www.axespdf.com/ in einer kostenlosen Beta herunterladen.
am 29. März 2013 um 10:17 Uhr
Nur noch einen kleinen Nachtrag.
Ich empfinde den hinweis (nicht barrierefrei) eigentlich fast unverschämt gerade in der letzten Woche habe ich eine Site zum zweiten Mal getestet auf der wir beim ersten Mal gewisse PDF-Dokumente alls nicht barrierefrei beurteilen mussten. Und raten Sie mal was die Verantwortlichen gemacht haben. Richtig, sie haben die Links zu den beanstandeten PDF-Dokumenten mit dem Hinweiss versehen (nicht barrierefrei). Die geschätzten Verantwortlichen haben genau gewusst was sie da machen und es handelte sich nicht um uralt PDFs in irgend einem Archiv, bei denen man es ja noch verstehen kann, wenn niemand mehr einem riesen Aufwand betreiben will um diese Dateien zugänglich zu machen.
am 2. April 2013 um 15:00 Uhr
Meine Meinung zum Hinweis “nicht barrierefrei” habe ich ja oben schon abgegeben.
Ich hab mich vor einiger Zeit mal ganz vorsichtig an das Thema “Erstellung barrierefreier PDFs” herangetastet, und darüber gebloggt, einschließlich einem Demo-PDF:
http://webdesign.weisshart.de/blog/2012/08/13/ein-barrierefreies-pdf/
Ergebnis meiner Versuche mit kostenlosen Werkzeugen: “etwas besser” als gar Nichts.
Dass Screen Reader Nutzer generell PDFs vermeiden, wenn immer möglich, kann ich nach diesen Versuchen gut verstehen. Zitat eines blinden Bekannten: “99% der PDFs im Web sind barrierebehaftet”.
am 2. April 2013 um 16:00 Uhr
Ich gebe auch mal meinen Senf als Webentwickler hinzu:
Gerade im privatwirtschaftlichen Bereich ist oft nur ein begrenztes Budget da um den Webauftritt zu überarbeiten. Wenn dieser Betrag dann in die Website geflossen ist, dann fehlen oft Mittel um die PDFs, die hauptsächlich für den Druck gedacht sind, auch noch barrierefrei machen zu lassen. Wir empfehlen dann die Inhalte auf die Website zu übernehmen, das PDF dann aber trotzdem (mit dem Zusatz „Nicht Barrierefrei“ zum Download anzubieten). Bei manchen Dingen, wie z.B. Katalogen ist eine Übernahme des PDFs auch schwierig, da es dort mit einer einfachen Textseite nicht getan ist. Eine entsprechende Umsetzung in einer Website ist aber oft auch innerhalb des Budgets oder Umfang nicht zu realisieren. Auch dann empfehlen wir die PDFs entsprechend zum Download anzubieten.
Die Konsequenz von barrierefreien PDFs bzw. der Forderung danach sollte nicht sein, dass diese Informationen ganz aus dem Internet verschwinden und für überhaupt niemandem mehr zugänglich sind.
Wir beraten unsere Kunden aber gerne dazu, wie Sie in Zusammenarbeit mit ihrer Print-Agentur einen Workflow einrichten können, der zu barrierefreien PDFs führt. Ob sie diesen dann umsetzen liegt aber nach derzeitiger Gesetzeslage nicht in unserer Hand und auch nicht in den Händen derer, die auf barrierefreie PDFs angewiesen sind.
am 3. April 2013 um 11:05 Uhr
Ich bin ja seit jeher der Meinung, dass “PDF” und “Barrierefreiheit” in der Praxis zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffe sind. Der größte Fehler, den Adobe gemacht haben, war der, der eigentlich guten Implementierung barrierefreier PDFs keine alltagstauglichen Tools zur Seite zu stellen, mit denen sich barrierefreie PDFs auch im stressigen Agenturalltag oder automatisiert z. B. bei Rechnungs- oder Angebotserstellung erstellen lassen. Das ist einfach viel zu kompliziert. OpenOffice und MS Word haben zwar durch eingebaute Features bzw. ein Plugin die Situation etwas verbessert, aber bei OpenOffice muss man die Tags explizit in einem Unterunterdialog einschalten, und ein Plugin muss man in MS Word installieren, und dazu muss man wissen, dass es das überhaupt gibt. Die meisten installieren einen billigen PDF Printer und schmeißen ihren Kunden dann das vor die Füße, von dem Fritz schreibt.
Ich persönlich gehe erstmal davon aus, dass PDFs, die ich im Web finde, nicht barrierefrei sind. Der Zusatz “nicht barrierefrei” bewirkt bei mir die Reaktion “Du A…! weißt genau dass es geht und hast dir nicht die Mühe gemacht!”. In der Regel führt so etwas dazu, dass ich spontan das Interesse an dieser Firma/diesem Produkt verliere. Geht es um eine Behörde, belästige ich sie dann erst recht ausführlich mit meiner von Hilflosigkeit gezeichneten Anwesenheit und verweise mindestens dreimal darauf, dass das alles mit einem ordentlichen barrierefreien PDF nicht nötig wäre.
Da 99,9% aller PDFs im Internet nicht barrierefrei sind, halte ich den Hinweis “nicht barrierefrei” für eine Verhöhnung der potentiellen Leserschaft. Wenn die Informationen noch anderweitig verfügbar sind, wie Eric es bei der Beratung für seine Kunden vorschlägt, OK. Ansonsten suche ich mir alternative Angebote.
am 3. April 2013 um 12:41 Uhr
Wenn eine HTML-Seite nicht barrierefrei ist, dann wird beim Link auch kein Zusatztext berücksichtigt, wenn die Seite nicht barrierefrei ist. Dabei sind die meisten Webseiten ebenfalls nicht barrierefrei. Deswegen ist die Kennzeichnung einer nicht barrierefreien PDF aus meiner Sicht nicht notwendig oder sinnvoll.
Den umgekehrten Weg ist z.B. die Stadt Kassel gegangen und hat ihre barrierefreien PDF-Formulare mit einem Icon und eine Textalternative “PDF plus” gekennzeichnet. Ob das so sinnvoll ist im Sinne der Barrierefreiheit, weiß ich nicht. Da es sich aber um (auch mit dem Screenreader) ausfüllbare Formulare handelt, halte ich die besondere Kennzeichnung aber für sinnvoll, denn die meisten PDF-Formulare können nicht am Computer ausgefüllt werden, sondern müssen ausgedruckt und dann ausgefüllt werden. Am Computer barrierefrei ausfüllbare Formulare sollte man durchaus besonders kennzeichnen.
Wenn nicht barrierefreie PDF-Dokumente ergänzend zu Webseiten online gestellt werden, dann ist die PDF quasi eine Druck- und/oder Speicherversion und kann entsprechend gekennzeichnet werden. Eine nicht barrierefreie, zweite Version eines Inhalts, die den Anforderungen der WCAG 2.0 nicht erfüllt, führt zwar dazu, dass die Webseite nicht WCAG-konform ist, aber in einem praktischen Kontext finde ich es akzeptabel, PDF-Dokumente als “Druckversion als PDF” o.ä. zu kennzeichnen. Im PDF-Dokument sollte aber ein Hinweis auf die barrierefreie Version zu finden sein.
Natürlich ist der Weg, barrierefreie PDF-Dokumente zu erstellen,organisatorisch aufwändiger als barrierefreie HTML-Dokumente zu produzieren, denn die Inhalte der PDF stammen in der Regel aus einer Vielzahl von Quellen und jeder, der Inhalte als PDF für eine Website beiträgt, müsste entsprechend geschult werden. Layout-Programme wie Quark Xpress müssten zugunsten von Adobe Indesign verboten werden. Wer mit Microsoft Office arbeitet, muss mindestens mit 2007, besser noch 2010 arbeiten – und auch dann sind Zusatzprogramme zumindest hilfreich, wenn nicht erforderlich, um die Richtlinien für barrierefreie Webinhalte erfolgreich umzusetzen. Der sogenannte Rattenschwanz bei barrierefreien PDF ist mit Sicherheit größer als bei barrierefreien HTML-Inhalten.
Im Übrigen bietet Adobe unlängst die Funktion des automatischen Taggens. Bei vielen PDF-Dokumenten wird das Dokument beim Öffnen zugänglich gemacht, wenngleich das wirklich nur eine minimale Zugänglichkeit ist. Für die Barrierefreiheit eines nicht barrierefreien (meist einfachen) Dokuments reicht die Adobe-Funktion nicht aus. Bei komplexeren Dokumenten ist die Adobe-Funktion meist unbrauchbar.
PDF-Dokumente durchweg als “nicht barrierefrei” zu kennzeichnen ist – wie oben schon beschrieben – schon ein Hohn und zeigt letztlich, dass die handelnden Personen die aktive Ausgrenzung von behinderten Nutzern billigend in Kauf nehmen.
am 5. April 2013 um 14:20 Uhr
Die explizite Kennzeichnung als nicht barrierefrei weckt in mir vor allem 2 Gedanken.
1. Wenn PDFs ausdrücklich als nicht barrierefrei gekennzeichnet sind, müsste es beim selben Anbieter doch auch welche geben, die keine Barrieren aufweisen. In diesem Fall halte ich eine
Kennzeichnung für nützlich um unterscheiden zu können.
2. Sind alle PDFs auf diese Weise gekennzeichnet, halte ich die Kennzeichnung für völlig überflüssig, zumal nicht barrierefreie PDFs die Regel sind. Es bietet sich eher an, die ausnahme gut zugänglicher PDFs kenntlich zu machen.
Last but not least möchte ich die provokante Frage stellen, wie denn ein PDF zu bewerten ist, das 160 Seiten umfasst, ordentlich strukturiert und grundsätzlich barrierefrei gemacht wurde, das aber auf den Seiten 70 und 71 eine nicht kommentierte grafische Darstellung enthält.
am 6. April 2013 um 07:52 Uhr
@ Alle:
Ich möchte mich schon mal für die doch zahlreichen Antworten bedanken. Auch über E-Mail habe ich noch einige bekommen. Ich werde diese im kommenden Monat zusammenfassen und hier veröffentlichen. Das soll natürlich niemanden davon abhalten, hier weiter zu kommentieren.
@ Eva: Eine interessante Frage. Es kommt sicher darauf an, in welcher Situation man sich diese stellt. Würde ich ein solches Dokument zur Prüfung auf Barrierefreiheit vorgelegt bekommen, dann würde ich dies bemängeln und es wäre aus Prüfsicht nicht vollständig barrierefrei. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass in solchen Fällen meist auch andere Punkte nicht gut oder nicht umgesetzt sind.