Zum Charakter der Techniken in der BITV 2.0 und den WCAG 2.0
27. März 2012 von Kerstin Probiesch in: Barrierefreiheit, BITV, WCAG
Die BITV 2.0 ist seit September 2011 gültige Verordnung. Der Verordnung liegt eine Begründung bei, die zahlreiche Unterschiede zur WCAG 2.0 offenbart, z. B. hinsichtlich der Vorgaben Audiodeskription, Leseniveau und den Konformitätsstufen. Ein weiterer Unterschied besteht in der Rolle der Techniken. In der offiziellen Begründung zur BITV 2.0 heißt es:
“Die anzuwendenden Techniken (Hervorhebung KP) zur Umsetzung der WCAG 2.0 und entsprechend die Techniken zur Umsetzung der Anlage 1 zur BITV 2.0 sind in den „Techniques“ zur WCAG 2.0, einem veränderbaren Dokument, zusammengefasst. Mit den „Techniques“ ist damit eine verhältnismäßig kurzfristige Anpassung der internationalen Richtlinien an die technische Weiterentwicklung möglich.”
Diese Aussage überrascht, denn in den WCAG 2.0 steht:
“Note that all techniques are informative.”
Dieser kurze Satz aus der Einführung in das Technikendokument bringt ihren Charakter prägnant auf den Punkt. “Informativ” bedeutet nach WCAG 2.0:
“for information purposes and not required for conformance“ (Hervorhebung KP). Note: Content required for conformance is referred to as “normative.”
Zu Deutsch:
“für Informationszwecke und nicht für die Konformität erforderlich. Anmerkung: Inhalt, der für die Konformität erforderlich ist, wird als „normativ“ bezeichnet.”
Techniken sind nach WCAG 2.0 bloße Orientierungshilfen. Selbst, wenn keine als ausreichend definierte Technik des Technikendokuments verwendet wird, kann eine Webseite völlig WCAG-konform sein – so lange die Erfolgskriterien erfüllt sind. Die ausreichenden Techniken sind also anwendbare, jedoch nicht “anzuwendende” Techniken, denn: Techniken sind optional. Damit tragen die WCAG 2.0 sowohl der ständig fortschreitenden Webentwicklung Rechnung als auch der realistischen Einschätzung, dass nicht alle weltweit existierenden Techniken erfasst werden können.
Folgt man dagegen der Begründung zur BITV 2.0, so dürften – und so interpretiere ich den oben zitierten Passus – nur Techniken verwendet werden, die Einzug in das Technikendokument der WCAG 2.0 gefunden haben?! In diesem Fall wären derzeit und bei gewünschter BITV2-Konformität beispielsweise HTML5-Techniken außen vor: anwendbar nach WCAG 2.0, aber nicht anzuwenden nach BITV 2.0?!